Stöffel-Park | Rheinland-Pfalz – Harley-Davidson betritt mit der Reiseenduro Pan America im wahrsten Sinne des Wortes Neuland. Ich machte mich auf den Weg nach Enspel im Westwald, um als einer der ersten Journalisten weltweit das neue Adventure Touring Bike zu testen. Dort erhielt ich die Gelegenheit, das Motorrad an zwei Tagen sowohl auf der Straße als auch abseits davon zu erfahren…
Als ehemaliger Steinbruch und heutige Eventlocation war der Stöffel-Park der optimale Ort für das von Harley-Davidson veranstaltete „Pan America Adventure Camp“ zur Vorstellung der neuen Reiseenduro. Am rund 140 ha großen Areal fanden die Offroad-Tests statt, im umliegenden Westerwald konnte die Pan America 1250 Special auf kurvenreichen Straßen ihre Qualitäten auf Asphalt unter Beweis stellen. Dank des wechselhaften April-Wetters fanden wir an den zwei Tagen alle erdenklichen Fahrverhältnisse vor.
Wie ich an den Reaktionen auf meine Social Media Posts erkennen konnte, polarisiert das Design der neuen Pan America. Das liegt sicherlich daran, dass sie gegenüber den am Markt etablierten Reiseenduros über ein ganz eigenständiges, außergewöhnliches Design verfügt. Auf den ersten Bildern kam sie mir schon etwas wuchtig vor, dies bestätigte sich jedoch in der Realität gar nicht. Je länger ich mit dem Bike zu tun hatte, umso besser gefiel es mir. Und natürlich war ich auch ein wenig skeptisch, in Bezug auf Harley-Davidson und Enduro. Können die das wirklich, woher haben sie das Know-how dafür? Soviel hier schon mal vorab. Die Testtage haben gezeigt, dass sich die Pan America schon in allen Belangen auf einem sehr hohen Niveau befindet. Man möchte gar nicht glauben, dass es sich dabei um ein vollkommen neu entwickeltes Motorrad handelt.
DER NEUE REVELATION-MAX-1250-MOTOR
Um der zahlreich vorhandenen Konkurrenz in diesem Motorradsegment die Stirn bieten zu können, musste ein neuer V2-Motor entwickelt werden, der alles derzeit technisch mögliche beinhaltet. Bei der Entwicklung des längs eingebauten Motors wurde großes Augenmerk auf hohe Leistung und Gewichtsoptimierung gelegt. Dabei hat sich Harley-Davidson voll ins Zeug gelegt und mit dem Relevation-Max-1250-Motor ein Triebwerk auf die Beine gestellt, dass allen Anforderungen einer modernen Reiseenduro gerecht wird. Der 1.250 ccm-Motor leistet 152 PS (112 kW) bei 8.750 U/min und hat ein maximales Drehmoment von 128 Nm bei 6.750 U/min. Er verfügt über Vierventil-Zylinderköpfe, zwei obenliegende Nockenwellen pro Zylinder und eine variable Ventilsteuerung. Dies machte sich im Test durch sehr guten Durchzug schon im unteren Drehzahlbereich und hohe Drehfreudigkeit bemerkbar. Der hydraulische Ventilspielausgleich sorgt dafür, dass trotz der Wärmeausdehnung ständiger Kontakt zwischen den Ventilen und ihren Betätigungselementen besteht, was für Mehrleistung sorgt und den Ventiltrieb wartungsfrei macht. Hohe Kosten für die Ventileinstellung fallen somit weg.
DAS SEMIAKTIVE FAHRWERK
Die getestete Pan America 1250 Special verfügt an Front und Heck über ein elektronisch einstellbares, semiaktives Fahrwerk mit jeweils 191 Millimeter Federweg. Mit den Daten der Fahrzeugsensoren wird die Dämpfung automatisch an die Bodenverhältnisse und die Fahraktivität angepasst. Dies erfolgt in Abhängigkeit vom gewählten Fahrmodus. Das hintere, zentrale Federelement ist über ein progressives Hebelsystem mit dem Heckrahmen verbunden. Dies sorgt gleichermaßen auf der Straße wie im Gelände für überzeugende Fahreigenschaften. Das System erkennt auch das Gewicht von Fahrer, Beifahrer sowie Gepäck und passt die Federvorspannung automatisch daran an.
JEDE MENGE AN FAHRASSISTENZSYSTEMEN
Mit „RDRS Safety Enhancements“ bezeichnet Harley-Davidson ein Technologiepaket zur optimalen Anpassung der Beschleunigungs- und Verzögerungskräfte an die verfügbare Reifenhaftung. Dieses ist sowohl auf der Geraden als auch in Kurven wirksam. Eine 6-achsige Sensoreinheit liefert alle relevanten Fahrdaten an das System. Die Brembo-Bremsanlage verfügt über Kurven-ABS. Dabei regelt die elektronische Bremskraftverteilung beim Betätigen des Handbremshebels das automatische Eingreifen der Hinterradbremse, um eine ausgewogene Bremsverteilung zu unterstützen. Je fester dabei die Vorderradbremse betätigt wird, umso stärker greift auch die Hinterradbremse ein. Die Kurven-Traktionskontrolle verhindert zu viel Schlupf beim Beschleunigen, umgekehrt verhindert die Kurven-Antriebsschlupfregelung diesen beim Verzögern durch Anpassung der Motorbremswirkung.
FAHRMODI FÜR JEDE GELEGENHEIT
Rechts am Lenker können die jeweiligen Fahrmodi ausgewählt werden. Sie haben Einfluss auf die Fahrdynamik, indem sie festlegen, mit welcher Intensität die elektronischen Assistenzsysteme eingreifen. Die Pan America 1250 Special verfügt über insgesamt sieben unterschiedliche Fahrmodi, von denen drei individuell anpassbar sind. Nur im Sport-Modus steht die volle Leistung zur Verfügung, das Fahrwerk ist straff ausgelegt und die Assistenzsysteme arbeiten auf dem niedrigsten für die Straße sinnvollen Niveau. „Road“ verfügt über eine ausgewogene Einstellung für den Alltag, „Rain“ reduziert die Leistung deutlich, die Assistenz findet auf der höchsten Stufe statt. Im Offroad-Modus wird die Leistung auf ein mittleres Niveau reduziert, mit weniger Leistung und Drehmoment im oberen Drehzahlbereich. Die Assistenzsysteme sind dabei alle auf Geländebetrieb optimiert.
STRASSENPERFORMANCE
Auf der rund 200 Kilometer langen Runde zumeist auf kurvenreicher Strecke durch den Westerwald konnte ich einen sehr guten Eindruck von der Pan America gewinnen. Beim Betätigen der schlüssellosen Zündung senkt sich der Sitz des Motorrads um 25-50 Millimeter ab und fährt beim Losfahren wieder automatisch hoch. Das gleiche geschieht bei jedem Stehenbleiben und Wiederanfahren. Diese sogenannte „Adaptive Ride Hight“ ist erstmals in einem Motorrad verbaut und für mich mit meinen 178 Zentimetern Körpergröße ein willkommener Komfort- und Sicherheitsgewinn. Man sitzt aufrecht und komfortabel auf dem Bike, die schmale Bauform ermöglicht einen guten Knieschluss. Der Motor zieht schon im unteren Drehzahlbereich kräftig an und entwickelt weiter ob dann richtig Schub. Die Schräglagenfreiheit ist kein Thema und so wird Kurvenräubern zum echten Vergnügen. Die Brembo Bremsanlage packt kräftig zu, für die Bedienung sind ein oder zwei Finger vollkommen ausreichend. Ein kleiner Wehrmutstropfen ist, dass die Pan America in der ersten Version über keinen Quickshifter verfügt. Laut Auskunft der Cheftechniker aus Milwaukee sollte dieser aber in absehbarer Zeit folgen. Die Spurtreue ist bis zur Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h – getestet auf der deutschen Autobahn – sehr gut, das Windschild bietet auch jenseits der 200 km/h noch sehr guten Schutz. Das Bike ist alles in allem sehr handlich zu fahren und sollte nach dem ersten Eindruck auch sehr komfortabel für die Langstrecke sein.
AB INS GELÄNDE
Im Stöffel-Park konnten wir die Pan America in einem dafür vorgesehenen Areal auch abseits der befestigten Straßen testen. Zur Steigerung der Geländeperformance waren an den Testmotorrädern die optionalen Kreuzspeichenräder mit Stollenreifen montiert. Mein Motorrad in der Farbe „Deadwood Green“ war zusätzlich mit einem kleineren Windschild und dem Screamin´ Eagle-Endtopf ausgestattet. Zuerst bekamen wir eine Einschulung mit Technik-Tipps von dem ehemaligen Freestyle Motocross-Profi Busty Wolter und dann konnten wir uns schon frei am Gelände bewegen. Die Pan America zeigte dabei, dass sie auf schnelleren Schotterpassagen sehr gut die Spur hält. Auch etwas härteres Gelände wie steinige Singletrails und steile Auf- und Abfahrten liegen ihr sehr gut. Durch Gewichtsverlagern im Stehen oder den engen Knieschluss im Sitzen ist sie sehr gut zu steuern. Bei abgeschalteter Traktionskontrolle werden die dadurch möglichen Drifts zum reinen Vergnügen, das Bike bleibt dabei aber immer noch sehr gut beherrschbar.
ARMIN ON BIKE CONCLUSIO
Mit der Pan America ist Harley-Davidson ein echtes Allround-Bike gelungen. Sowohl auf der Straße als auch im Gelände fühlt sie sich richtig wohl und befindet sich auf Augenhöhe mit den etablierten Vertretern in diesem Segment. Dies ist in Anbetracht dessen, dass es sich um die erste Enduro des Herstellers handelt, eine bemerkenswerte Leistung. Auch der Preis ist mehr als konkurrenzfähig. Der Grundpreis des getesteten Top Modells Pan America 1250 Special in der Farbe „Vivid Black“ mit umfangreicher Serienausstattung liegt in Österreich bei 21.695 Euro. Die zweifarbige Variante in Orange-Weiß kostet 625 Euro, einfarbige Modelle 280 Euro Aufpreis. Für die Kreuzspeichenräder sind 505 Euro, für die „Adaptive Ride Hight“ 700 Euro zusätzlich zu berappen. Man darf gespannt sein, wie sie sich die Pan America gegen die Konkurrenz vor allem aus München und Mattighofen behaupten wird können. Das Zeug dazu hat sie aus meiner Sicht jedenfalls.
Text und Fotos: Armin Hoyer – arminonbike.com
Action-Fotos – Straße: Francesc Montero, Offroad: Alessio Barbanti